Soziale Unsicherheit

Neue Menschen = mulmiges Gefühl?

Probleme mit zwischenmenschlichen Begegnungen haben ihre Wurzel oft in traumatischen Prägungen aus unserer Kindheit und können sich sehr unangenehm anfühlen.

Warum es manchmal schwer ist, sich mit anderen zu verbinden

Dieses Wochenende war ein großes Zeltfest hier bei uns in der Gegend. Einerseits habe ich mich darauf gefreut. Sommer, Sonne, Musik, pure Lebensfreude! Anderseits war da auch ein sehr mulmiges Gefühl in mir. Gedanken wie „Was, wenn ich dort niemanden treffe, den ich kenne und allein herumstehen muss?“, „Was, wenn mir nichts zum Reden einfällt?“, „Die Frauen vom XY-Verein werden mich wieder so abwertend mustern“ und „Bin ich überhaupt ‚richtig‘ angezogen für so ein ländliches Ereignis?“ sind mir durch den Kopf gegangen.

Am Fest angekommen war mir dann eigentlich alles zu laut und ich wollte am liebsten wieder verschwinden und war froh, dass ich nach einem Getränk wieder gehen konnte. Im Nachhinein habe ich mich geschämt für meine soziale Unsicherheit und auch jetzt beim Schreiben ist es mir ein bisschen unangenehm, das preiszugeben. Allerdings weiß ich, dass das ein Muster ist, das ich aus meiner Kindheit mitgenommen habe und mit dem auch viele andere Menschen kämpfen, und vielleicht bist du ja eine/r davon. 

Vielleicht fühlst du dich auch oft nicht so richtig wohl, wenn du in eine Situation kommst, in der du mit Menschen oder fremden Gruppen ins Gespräch kommen musst, etwa im Job oder auf einer Party. 
Anderen scheint der zwischenmenschliche Kontakt mühelos zu gelingen, nur dir nicht und du fühlst dich unbeholfen.

Wurzel unsichere Bindung

Probleme mit sozialen Interaktionen und zwischenmenschliche Begegnungen haben ihre Wurzel oft in traumatischen Prägungen aus unserer frühen Kindheit und können Dynamiken nach oben holen, die sich sehr unangenehm anfühlen können. Vielleicht hast du deine Verbindung mit wichtigen Bezugspersonen, wie Vater oder Mutter in deiner Kindheit als nicht sicher erlebt. Das prägt uns nachhaltig.

Wenn wir nicht lernen, wie sich sichere Bindung anfühlt, wissen wir dann auch als Erwachsene nicht, ob wir uns in sozialen Situationen richtig verhalten. Wir neigen dazu, uns zum Beispiel schon vor einer Begegnung vorzustellen, was andere Menschen sagen oder über uns denken könnten, damit wir schon vorbereitet sind, wenn dann etwas Unangenehmes oder Schlimmes eintritt. 

Möglicherweise haben wir auch in der Schule Ablehnung erfahren und haben nun immer wieder das Gefühl, dass es „wieder wie damals“ sein wird. 

Fröhliches Beisammeinsein oder Flucht?

Dieser Stress fühlt sich für unser vegetatives Nervensystem bedrohlich an, was dazu führen kann, dass der Teil des Vagus, der für soziale Interaktion und Verbundenheit zuständig ist, abgeschaltet und stattdessen der Teil für Kampf oder Flucht oder Erstarrung aktiviert wird, was wiederum unsere Wahrnehmung negativ beeinflusst. Alte Glaubenssätze wie: „Ich gehöre nicht dazu“ oder „Niemand mag mich“ übernehmen das Ruder. All das dient der Suche nach Sicherheit.

Die Scham und das Gesehenwerden

Oft taucht Scham von früher automatisch auf, wenn wir mit anderen Menschen in Kontakt treten. Wir haben Angst, dass uns andere unsere Scham ansehen, fühlen uns minderwertig und wollen um jeden Preis verhindern, dass wir wieder beschämt werden. 
Gleichzeitig löst es oft auch Scham aus, überhaupt von anderen gesehen (und damit verletzlich) zu werden, gekoppelt mit Gefühlen wie „Ich will gar nicht da sein“, „Ich will weg hier und mich verstecken“, aber gleichzeitig auch, „Ich würde gern dazugehören und mich sicher fühlen, schaffe es aber nicht“. 

Aber was tun?

Es hilft, sich zuerst einmal bewusst zu werden, dass vieles von dem, was wir in sozialen Situationen fühlen, das Ergebnis einer kindlichen Prägung ist.

Versuche herauszufinden, was dich in Begegnungen mit anderen Menschen, triggert. Zum Beispiel, du kommst in einen Raum mit einer Gruppe von Menschen, alle hören auf zu reden und schauen dich an; du bekommst Panik. Hilfreich ist es hier zu wissen, dass es ganz normal ist, dass Menschen aufschauen, wenn jemand den Raum betritt, ihr Nervensystem registriert eine Veränderung und sie schauen. Das bedeutet nicht, dass du gerade abgewertet wirst.

  • Bereite dich auf unangenehme Begegnungen vor. Nimm 5 Minuten und spüre zuerst einmal bewusst in deine persönlichen Grenzen hinein, z.B. mit 10 Atemzügen, bei denen der Ausatem länger ist als der Einatem, du kannst auch eine Körperklopfübung oder den 5-Sinne-Check machen. Diese Übungen findest du in meinem kostenlosen Workbook https://www.spuer-dich.at/workbook
  • Lehne bewusst ab, was dir nicht guttut und wähle Situationen aus, die dich nicht völlig überfordern. Meide soziale Situationen nicht, aber ziehe dich zurück, wenn dir etwas zu viel wird.
  • Nimm dir Zeit und erlaube dir, dich in deinem Tempo, Schritt für Schritt in Begegnungen zu entwickeln. Angst und Scham gehören zu dir, aber du darfst nach und nach auch andere, mutige Anteile von dir kennenlernen und wachsen lassen.
  • Registriere dazu im Vorfeld, ob du vielleicht schon mit bestimmten (negativen) Erwartungen in eine Situation hineingehst, die vielleicht gar nicht zutreffend sind. Versuche bewusst, diese Erwartungen durch eine neutrale oder sogar positive Erwartung zu ersetzen. Damit hast du nichts zu verlieren, nur zu gewinnen. Zum Beispiel statt, „Alle werden mich blöd finden“, „Mal schauen, wer mir sympathisch erscheint und ob ich mit ihr/ihm ins Gespräch komme“.

Ich wünsche dir viel Spaß beim Ausprobieren und viel Selbstmitgefühl für deinen nächsten Begegnungen und freue mich, wenn wir uns über den Sommer in meiner Praxis begegnen oder du mich an Freunde und Bekannte weiterempfiehlst.